Winterfäden

Sanft schlängelt sich der kleine Pfad am Johanniskrautfeld vorbei.
Heli hatte diese Spur angelegt.
Abschied der Pflanzen liegt in der Luft.
Im Strahl der aufgehenden Sonne schimmert das Glückskraut in einem bronzefarbenen Kleid.
Wie auf Katzenpfötchen berühren Heli ihre Schritte die gefallenen Gräser.
Alle Sinne sind auf Empfang gestellt, Unsichtbares möchte sich Gehör verschaffen.

Ein Wispern klopft zart an Heli ihre lauschenden Muscheln.

„Nimm mich mit!“
Ein Hauch nur diese Worte, doch die Erdhüterin vernimmt sie klar und deutlich.

„Beuge dich zu mir, ich möchte dir etwas zeigen!“

Heli kniet sich zu dieser Klangquelle und entdeckt ein außergewöhnlich aufrecht stehendes Pflänzlein.
Ihr Herz öffnet sich weit, voller Gnade strömt eine erdige Kraft in ihr Inneres.

Verwelkt, vertrocknet das Junikraut, doch in der Wurzel das Junge gebärend.
Lichtbringerin aller Zeit!

Still ist es.
Die Natur zieht sich mehr und mehr in Mutters Schoß zurück.
Sie findet dort Wärme, Schutz, Geborgenheit.

Heli verweilt in diesem scheinbaren Stillstand, lässt das Erfahrene tief auf den Grund ihrer Seele fallen.
Sie erinnert sich an die Geschichten dieses Jahres, an das, was sie vollbracht hatte.
An das, was sie gern mit einem anderen Ausgang in ihr Lebensbuch schreiben würde.
Sie nimmt an, wie es war.
Im Rad des Lebens hat alles seinen Platz und Sinn.

Alles ist miteinander verwoben und wir sind ein Faden in diesem großen Netz.

18.11.2013